Alle kennen sie, manche hatten schon Kontakt mit ihr, viele misstrauen ihr: die Polizei. Es ist ein brisantes Thema, bei dem viele starke Gefühle haben. Wir haben am 14.Januar 2021 ein Kamingespräch zum Thema „Sprechen wir über und mit der Polizei“ veranstaltet, bei dem wir über verschiedene Aspekte rund um das Thema Polizei diskutiert haben. Dafür haben wir spannende Gäst*innen eingeladen:
Luise Klaus, Mitarbeiterin von dem von Dr.Tobias Singlnstein geleiteten Forschungsprojekt KviAPol der Ruhr-Universität-Bochum
Doreen Denstädt von der Thüringer Polizeivertrauensstelle
Dr. Martin Thüne, Lehrbeauftragter an der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Polizei
Außerdem haben wir ein Interview mit einem*r angehenden Polisten*in geführt und anonymisiert vorgetragen. Nach kurzen Input-Vorträgen der Gäst*innen konnte in Break-Out-Rooms mit den Gästen ins Gespräch gekommen und über die verschiedenen Themen diskutiert werden. Es hat uns sehr gefreut, dass so viele Menschen digital gekommen sind und aktiv an den Gesprächen teilgenommen haben. Hier sind kurze Zusammenfassungen der Diskussionen:
Gespräch über Polzeigewalt und Rassismus
In Break-Out-Room 1 mit Luise Klaus wurde sehr lebendig und intensiv diskutiert. Es ging dabei um Themen, die von der Pauschalisierung der Polizei über Polizeigewalt und Rassist*innen bei der Polizei bis hin zur Frage: „Polizei als Spiegel der Gesellschaft?“ reichten.
Dabei wurde besonders deutlich, dass die Polizeidebatte differenziert betrachtet werden muss. Dies kann durch eine vermehrte Empathie auf beiden Seiten gelingen und dadurch, nicht die Individuen in der Polizei, sondern die Problematiken auf struktureller Ebene zu kritisieren. So betonte auch Luise Klaus, dass das Forschungsprojekt KviAPol der Ruhr-Universität Bochum vor allem das Bewusstsein für diese Problematiken stärken möchte.
Weitere Informationen zum Thema:
Warum haben wir das Vertrauen in die Polizei verloren?
Im Break-Out-Room 2 wurde mit Doreen Denstädt diskutiert, die seit Anfang des Jahres bei der Polizeivertrauensstelle arbeitet und bereits seit 2006 als Beamtin im Polizeidienst tätig ist.
Die Polizeivertrauensstelle stellt eine unabhängige Beschwerdestelle dar, deren Besonderheit darin liegt, dass Bürger*innen sich auch anonym an sie wenden können. Dadurch kann eine Hürde abgebaut werden, welche viele Menschen bisher davon abhält, sich an klassische Beschwerdestellen zu wenden. Sie ist als Stabsstelle direkt unter dem Thüringer Staatssekretär für Inneres angegliedert und steht damit in den Behördenstrukturen sehr weit oben. Dadurch kann die Stelle unabhängiger von der Thüringer Polizei handeln, welche organisatorisch eine andere Abteilung bildet.
Die Vertrauensstelle hat jedoch keine eigenen Ermittlungskompetenzen. Beschwerden werden nach Wunsch der Bürger*innen aufgenommen und entsprechend an zuständige Behörden weitergeleitet. Frau Denstädt betonte, dass es grundsätzlich immer sinnvoll sei, Beschwerden bei der Polizeivertrauensstelle einzureichen. Das Sichtbarmachen von falschem Verhalten sowie dessen Ermittlung und Auswertung seien notwendig, um Veränderungen anzustoßen. Es gehe auch um die Etablierung einer Fehlerkultur. Die Stelle brauche Zahlen und Fakten, um Probleme erkennen und zur Lösung beitragen zu können.
Insgesamt müsse die Aufmerksamkeit für die Stelle noch ausgeweitet werden. Frau Denstädt erzählte, dass gerade marginalisierte Gruppen, die tendenziell vermutlich mehr von Polizeigewalt oder Problemen mit der Polizei betroffen seien, sich hier bisher nicht entsprechend widerspiegelten.
Zudem wurde im Gespräch mit Frau Denstädt auch über Sexismus und Rassismus gesprochen. In der Gesellschaft gibt es ein strukturelles Problem mit Rassismus. Das mache auch vor der Polizei keinen Halt. Hier falle Fehlverhalten nur eventuell stärker auf. Es gilt, Machtstrukturen der Polizei zu hinterfragen, doch am Ende sollte auch das einzelne Verhalten der Beamt*innen überprüft werden. Das Thema Sexismus sei in der Beschwerdestelle bisher nicht auffällig präsent. Innerhalb der Polizei selbst spiele das Thema aber eine Rolle - es gibt beispielsweise einen starken Überhang männlicher Polizisten. Dabei gebe es innerhalb der Polizei jedoch auch sehr viele Gleichstellungsbeauftragte, welche an einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis arbeiten.
Aktuell müsse die Akzeptanz und Bekanntheit der Beschwerdestelle innerhalb der Polizei noch erweitert werden. Wir hoffen, dass sich die Bekanntheit der Beschwerdestelle auch außerhalb der Polizei durch das Kamingespräch ein wenig erhöht hat.
Weitere Informationen zum Thema:
https://innen.thueringen.de/wir/polizeivertrauensstelle/
https://taz.de/Fehlverhalten-Thueringer-Beamter/!5721148/
https://taz.de/Vorwuerfe-gegen-die-Polizei-in-Weimar/!5686849/
Ausbildung bei der Polizei
Zudem war Dr. Martin Thüne von der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung aus dem Fachbereich Polizei zu Gast.
Er zeigte zuerst einmal das Spektrum der Berufe in der Polizei auf, welches weit über den*die zumeist bekannte*n Streifenpolizist*in hinaus geht. Diese ganzen Bereiche (auch die Verwaltung) sind dem Innenministerium untergeordnet und somit Ländersache. Die gesamte Arbeit basiert dabei auf dem Polizeigesetz des Freistaats Thüringen, welches die Grundlage für jegliches Handeln darstellt.
Im Breakout-Room wurde das Gespräch mit Thüne über die Zusammenhänge zwischen Rassismus und der Ausbildung an der Polizeischule in vielen Nachfragen vertieft. Dabei wurden einige Punkte kritisch hinterfragt:
Zunächst betonte Martin Dr. Thüne den Einfluss der alltäglichen Gewalt- und Kriminalitäts-Erfahrungen auf die Polizist*innen und auf deren bewusstes und unbewusstes Handeln im Berufsalltag.
Außerdem sind in Deutschland anlasslose Kontrollen an 'gefährlichen Orten' gesetzlich erlaubt. Die Kriterien, die darüber entscheiden, ob kontrolliert wird, sind damit sehr vage und lassen Raum für Willkür und von Vorurteilen geleitete Entscheidungen. Die Ausbildung umfasst zwar pädagogische und reflexive Ansätze, um dem entgegenzuwirken, jedoch kommen diese durch die begrenzte Zeit von nur zwei Jahren für den mittleren Dienst und drei Jahren für das Studium für den gehobenen Dienst oft nur kurz, was eine Vertiefung schwer möglich macht.
Die Ausbildung orientiert sich stark am Gesetz und kommt auch historisch aus der verwaltungstechnischen Ausbildung, sodass Reflexion und Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen und politischen Themen eher nur knapp behandelt werden und hier nach wie vor viele Vorbehalte existieren. Thüne bestätigte das Problem, dass die Ausbildung trotz vieler Anregungen z.B. bezüglich der Länge der Ausbildung oder einer Supervision nur schwer veränderbar sei. Es ist noch ein langer Weg. Wir hoffen dennoch auf baldigen Erfolg.
Weitere Informationen zum Thema:
Ist eine Gesellschaft ohne Polizei möglich?
Der vierte Break-Out-Room beschäftigte sich mit der Frage, ob eine Gesellschaft ohne die Polizei möglich ist und wenn ja, wie. Die Frage brachte die Teilnehmer*innen zum Nachdenken und es wurden moralische Grundsätze diskutiert. Immer wieder kam die Frage auf, ob wir als Gesellschaft nicht schon lange so weit entwickelt seien, dass wir ohne ein Kontrollorgan wie die Polizei auskommen. Gleichzeitig wurde die Idee einer Gesellschaft ohne Polizei von einzelnen Teilnehmer*innen als „Utopie“ kategorisiert. Gezielt suchten die Diskutierenden nach einer möglichen Alternative zur aktuell existierenden Polizei. Auch fragten sie sich, ob, wenn die Gesellschaft eine gerechtere wäre, die Notwendigkeit der Polizei in Frage gestellt werden könne.
Da der Raum ohne einen Gast moderiert wurde, waren die Fragestellungen und die gefundenen Antworten weniger spezifisch, regten dafür interessante Konzepte und Ideen an und weckten das Interesse Gewohntes und Althergebrachtes zu hinterfragen, auch wenn die Antworten auf diese Fragen bei kurzer Betrachtung nicht direkt offensichtlich zu finden sind.
Weitere Informationen zum Thema:
https://podcast.dissenspodcast.de/111-defund
https://taz.de/Debatte-um-Abschaffung-der-Polizei/!5701855/
https://link.tospotify.com/Umc2UldhJbb
Das Thema Polizei ist komplex und es gibt zahlreiche verschiedene und zum Teil sich widersprechende Perspektiven. Einige davon haben unsere Gäst*innen dargelegt. Trotz einiger Veränderungen gibt es noch dringenden Verbesserungsbedarf, vor allem auf struktureller Ebene. Wir danken allen, die dabei gewesen sind und hoffen, dass auch noch weiterhin über das Thema diskutiert wird, denn es ist eines, dass uns alle mehr oder weniger betrifft.