ein Bericht vom März 2020
Wegen der Corona-Krise gab es deutschlandweit einen akuten Erntehelfer*innen-Mangel. Spontan haben wir uns darum entschlossen, auszuhelfen. Hier sind unsere Erfahrungen:
Kurz nach Ostern haben wir uns auf den Weg gemacht, um für etwa drei Wochen zusammen mit circa 25 anderen Thüringischen Studierenden in wechselnder Besetzung bei der Spargelernte zu helfen und somit den Mangel an Erntehelfer*innen zu mindern. Der Betrieb, die Agrargesellschaft Herbsleben AG, ist aus einer früheren LPG der DDR hervorgegangen und versorgt unter anderem Supermarktketten wie tegut und Rewe mit Spargel, Kartoffeln und Zwiebeln. Üblicherweise kommen zur Saison Erntehelfer*innen aus Polen und Rumänien, doch aufgrund der Corona-Krise und den damit verbundenen Grenzschließungen konnten diesmal nicht genügend Menschen eintreffen, um den Spargel aus der Erde zu holen. Als Abhilfe ist die Agrargesellschaft eine Kooperation mit dem Studierendenwerk Thüringen eingegangen, welches das Jobangebot weitervermittelt hat.
Untergebracht waren wir in Container-Zimmern auf dem Betriebsgelände für 5 € pro Person pro Nacht. Theoretisch hätte es die Möglichkeit gegeben, immer morgens anzureisen, da die Arbeit aber um 6:45 beginnt, hatten wir auf die Pendelei keine Lust und entschieden uns für das Dorf Herbsleben als kurzfristige Heimat, sodass wir zweieinhalb Wochen zu zweit in einem 12qm großen Container gewohnt haben. Üblicherweise sind pro Unterkunft 3 Leute untergebracht, durch die Hygiene-Auflagen war dies jedoch nicht möglich. Küche oder Bad gab es in dem Container nicht, diese wurden gemeinsam mit den Anderen genutzt. Als weitere Vorlage war die Aufteilung in zwei Gruppen vorgesehen gewesen, um so ein geschlossenes Umfeld zu schaffen, diese Aufteilung wurde aber nicht sehr konsequent umgesetzt. Unabhängig von irgendwelchen Corona-Regeln wurde nachts immer das Tor des Betriebsgelände geschlossen; ab 22:00 gab es keine Möglichkeit mehr, das Gelände zu verlassen (außer man ist gut im über-den-Zaun-klettern), ein Fakt, der schon nicht so erfreulich war…
Morgens um 6:45 ging es los. Versammelt im Leutewagen, einem geschlossenen Traktoranhänger mit Sitzen, wurden wir aufs Feld gefahren. Eigentlich sollten wir auf dem Weg zum Feld einen Mundschutz tragen (gestellt von der Firma!), was in den ersten Tagen und morgens auch gut funktioniert hat, aber nachmittags dreckig und verschwitzt auch schon wieder vergessen war. Überprüft hat es sowieso keine*r.
Um 7:00 begann dann die Arbeit, die in den ersten Tagen hauptsächlich darin bestand, die von Planen bedeckten Spargeldämme aufzudecken, enttäuscht festzustellen, dass sich kein Spargel darunter verbarg, und sie dann wieder zu bedecken. Das sollte sich aber schnell ändern. Dennoch waren diese ersten Tage sehr gut, um die nötigen Armmuskeln aufzubauen, denn die Planen sind mit Sand an den Rändern beschwert und daher gar nicht so leicht aufzuwerfen. So gut und so weit wie Pablo, unser polnischer Spargelabtransportierer, der uns oft geholfen hat, konnten wir sie bis ans Ende nicht werfen.
Dann endlich, mit den ersten wärmeren Nächten, kam auch der erste Spargel! Zu Anfang stellte sich das Stechen zunächst als gar nicht so einfach heraus. Mit dem langen, an der Spitze etwas gebogenen Spargelmesser fühlte sich der Stich an wie eine Operation und nicht selten brachen wir aus Versehen beim Herausziehen die Spitze ab, schnitten den Spargel zu kurz oder an mehreren Stellen. Besonders tückisch waren diejenigen Spargel, die schief gewachsen sind und partout nicht aus der Erde wollten, auch wenn man sie schon gefühlte 1000-mal geschnitten und ganz sicher getroffen hatte (denn man sieht ja nicht wirklich wo man schneidet, alles reine Schätzung). Obwohl wir immer besser wurden, blieb Pablo uns auch in der Kunst des Spargelstechens bis zum Schluss weit überlegen.
Von Tag zu Tag gab es nun mehr Spargel, so dass wir schnell Routine bekamen. In den gemeinsamen Pausen um 9:00 (Frühstück) und um 13:00 (Mittag) haben wir zu Beginn immer fleißig Rückenübungen gemacht, um gelenkig zu bleiben, gegen Ende dann eher geschlafen.
Aber die Arbeit geht nicht nur in den Rücken, wie wir es ohnehin erwartet hatten, sondern auch und vor allem in die Hände. Erst waren es nur Blasen an nahezu jedem Finger und den Handballen, doch dann kamen die Schmerzen hinzu und die Taubheit. Morgens schliefen die meisten Finger noch und wachten kribbelnd auf und erst im Laufe des Tages wurde es besser. Bei der Arbeit konnte man den Schmerz gut vergessen, danach spürte man jedoch, wie wir in unserer Feinmotorik eingeschränkt waren.
Als es noch nicht so viel Spargel gab, hatten wir meistens gegen 16:00 Feierabend und wurden nach Hause zu den Containern gefahren. Mit mehr Spargel, der zu ernten war, wurde es dann immer später und es blieb nach der Dusche und dem Abendbrot kaum noch Zeit für irgendetwas anderes vor dem Schlafengehen, um am nächsten Morgen wieder frisch um 6:00 für den nächsten Arbeitstag aufzustehen. Selbst die vereinzelten freien Tage haben wir größtenteils zur Regeneration, Erholung und zum Saubermachen genutzt.
Etwas anderes neben dem Spargelstechen zu tun ist also quasi unmöglich. Mit unserer Aussicht, dass es für uns nur eine kurze Zeit war, ließ sich die Arbeit und die fehlende Privatsphäre (man wohnt schon ziemlich dicht zusammen und hört auch von den Nachbar*innen jedes Wort) gut ertragen. Außerdem konnten wir freie Tage nehmen. Das ist den Pol*innen und Rumän*innen jedoch nicht möglich, da der Spargel ja nun mal nicht aufhört, zu wachsen. Sie arbeiten die Saison teilweise ohne einen einzigen freien Tag durch, an Wochenenden und Feiertagen wird wie gewohnt gearbeitet und es gibt keinen Zuschlag, auch für Überstunden nicht (das wäre auch ganz schön teuer, denn die macht man fast jeden Tag). Was bei der Agrargesellschaft Herbsleben jedoch fair ist, ist die Art der Bezahlung. Dort wird man nach Stunden und nicht nach gestochenen Kilos bezahlt. So können auch ältere und schwächere Personen noch einigermaßen gut verdienen und der Teamgeist ist vorhanden. Für uns sind die 9,35€/Stunde Mindestlohn normal. Für Pol*innen und Rumän*innen hingegen ist es eine Menge Geld. Das nutzen deutsche Arbeitsanbieter*innen aus.
Wir behaupten, dass sich vermutlich die wenigsten von uns für so wenig Geld körperlich so zugrunde richten würden.
Denn, wenn wir es genau nehmen, passiert genau das. Wir haben nur zweieinhalb Wochen dort gearbeitet und hatten schon Schmerzen. Pablo sagt, er hat schon vergessen, was Schmerzen sind, er arbeitet einfach immer weiter. Das ergibt grausamerweise Sinn: Wir konnten beobachten, dass der Schmerz nach einem freien Tag schlimmer statt wie erwartet besser wurde, weil der Körper dann die Zeit hatte, zu realisieren, dass etwas nicht stimmt.
Zusätzlich zu der „normalen“ Gesundheitsschädigung kam dieses Jahr noch das Risiko von Covid-19 hinzu. In der Zeit auf dem Spargelhof haben wir Corona tatsächlich fast vergessen, denn durch das mangelhaft funktionierende Internet und die aus praktischen Gründen nicht eingehaltenen Sicherheitsabstände (gemeinsame Küche, gemeinsames Bad, gemeinsamer Transporter) hat sich alles eher wie ein Ferienlager angefühlt. Es war interessant zu beobachten, wie sich die Abstände zwischen den Menschen sukzessive verringert haben, mit jedem Tag, den wir vom „normalen Coronakrisenleben“ entfernt waren, wurde das Thema weniger präsent. Nur beim Einkaufen mit einzelnem Einkaufswagen und Atemschutzmaske wurden wir wieder zurück in die Realität geholt. Da war ja was… Zwar war dieses Loslösen vom Corona-Alltag durchaus angenehm, ist aber für die Erntehelfer*innen ein großes Risiko, da es, wie berichtet, kaum Möglichkeiten gibt, Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten – und dies auch häufig von Betrieben nicht durchgesetzt wird.
Wir würden die Zeit trotz der harten Arbeit positiv für uns einstufen. Vereint im Spargelleid haben wir viele nette Menschen kennengelernt, mit denen man diese Art der Gespräche führt, die man nur versteht, wenn man dabei gewesen ist. Oder würdet ihr lachen einfach nur, wenn ihr das Wort Spargel hört? Es ist schon lange her, dass wir einen so klaren Tagesrhythmus hatten, dass wir uns so viel körperlich an der frischen Luft betätigen konnten und dass wir so dreckig geworden sind. Das Verständnis für die Arbeit, die die Produktion von Nahrungsmittel macht, ist definitiv gestiegen, wirft aber auch schwierige Fragen auf:
Ist der Genuss des Luxus-Gemüse Spargel gerechtfertigt, wenn er nur dadurch möglich wird, dass Tausende von ausländischen Arbeiter*innen monatelang auf engstem Raum und unter extrem harten Bedingungen ihre körperliche Gesundheit aufs Spiel setzen? Oder gibt es auch andere Wege?
Wir sind froh diesen tiefen Einblick in die landwirtschaftliche Arbeit gewonnen haben zu dürfen, wissen aber nicht, ob wir jemals wieder reinen Gewissens Spargel essen können.