USA WAHLEN 2020

Kamingespräch vom 12.11.2020

Mit fünf vortragenden Gästen sind wir am Donnerstag in unser erstes digitales Kamingespräch gestartet. Als Nachbereitung der US-Präsidentschaftswahl in der vergangenen Woche haben wir das Zustandekommen des Wahlergebnisses und seine zukünftigen Auswirkungen diskutiert. Eingeladen haben wir dazu den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Dreyer von der Universität Jena, sowie Dr. Sebastian Herrmann, welcher American-Studies an der Universität Leipzig lehrt. Gesprochen haben außerdem Elizabeth Watts und Howard Atkinson, Lehrbeauftrage am Sprachenzentrum. Chris, Informatikstudent an der BUW, hat uns einen Input zur Medienstrategie von Donald Trump geliefert.  

Elizabeth Watts hat einen persönlichen Einblick auf die Auswirkungen der ausgeprägten politischen Polarisierung auf das soziale Umfeld gegeben. Sie ist in den USA aufgewachsen und pflegt einen engen Austausch zu ihrer Familie und ihrem Freundeskreis in Amerika. In den USA sei es traditionell unüblich, über Politik zu sprechen, allerdings habe sich Politik als Gesprächsthema in den letzten Jahren zunehmend zu einem Tabu entwickelt, insbesondere auf Familientreffen oder größeren Feiern. Die gesellschaftliche Spaltung habe in einem Maße zugenommen, dass es bei Diskussionen zwischen verschiedenen politischen Ansichten oft nicht mehr möglich sei, sich auf eine gemeinsame Realität zu einigen. Eine Hauptursache dafür sei die gespaltene Medienlandschaft, in der es keine übereinstimmende Deutungshoheit mehr gebe.

Howard Atkinson verfolgt als britischer Staatsbürger die amerikanische Politik. In seinem Redebeitrag ist er insbesondere auf die in den USA praktizierte Transition period eingegangen. Die Zeitspanne zwischen der Wahl und der Vereidigung des Präsidenten von circa zwei Monaten sei wohl in der Vergangenheit ein Vorteil für eine gelungene Amtsübergabe gewesenstelle sich jedoch aktuell als ein riesiger Nachteil heraus. Donald Trump verschärfe mit seiner Blockadehaltung die gesellschaftliche Spaltung im Inland und schwäche die USA außenpolitisch. Die Konsequenzen dieser Taktik auf die kommenden zwei Monate seien dabei noch unklar. 

Prof. Dr. Dreyer hat die Besonderheiten und Eigenheiten des Wahlvorgangs in den USA auf den Punkt gebracht. Obwohl nach Bekanntgabe aller Zahlen und Fakten Joe Biden als nächster US-Präsident feststeht, sei vor Beginn der Corona Krise eher mit einer Wiederwahl Donald Trumps zu rechnen gewesen. Erst das katastrophale Missmanagement in der Pandemie habe während dem Wahlkampf zu einer Trendwende geführt. Im Electoral Collage, welches den Präsidenten wählt, werde die ländlich geprägten Flächenstaaten gegenüber den urbanen Zentren durch die Verfassung strukturell begünstig, was vor allem der Republikanischen Partei in die Hände spiele. Dadurch sei es möglich, dass die Republikaner*innen drei der letzten fünf Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnten, obwohl sie nur bei einer Wahl die landesweite Stimmenmehrheit erlangt haben. Zwar profitiere die Demokratische Partei von der demographischen Entwicklung, jedoch benötigen die Demokrat*innen durch das angewendete Wahlsystem etwa drei Millionen Stimmen mehr, um eine Präsidentschaft zu gewinnen. Wahlerfolge der Demokrat*innen werden laut Professor Dr. Dreyer in den kommenden Jahren erschwert, da auf Ebene der Bundesstaaten nach dem bevorstehenden Zensus die Wahlbezirke neu bestimmt werden und überwiegend republikanische Regierungen für diese Umsetzung verantwortlich seien. Über den Zuschnitt der Wahlkreise könne erheblich Einfluss auf die Wahlergebnisse genommen werden. Auch der Wahlerfolg des Demokraten Joe Biden sei nicht so umfassend, wie es zunächst scheint: Ein voraussichtlich republikanisch geprägter Senat werde die Gesetzgebung mitgestalten und auch die Demokrat*innen präsentieren sich als tief gespaltene Partei, in der sich ein moderater und ein linker Flügel gegenüberstehen. 

Dr. Sebastian Herrmann ist auf das mediale Umfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 eingegangen. Aus links-liberaler Sicht scheine die Debatte über die Zuverlässigkeit des Wahlergebnisses abwegig, es gebe jedoch ein weites Medienspektrum, welches den Ausgang der Wahl hinterfrage und sich auf mögliche Ungereimtheiten beruft. Dies werde zwar voraussichtlich nicht die Amtseinführung von Joe Biden verhindern, jedoch vertiefe dieses „Conspiratory-Mindset“ die gesellschaftliche Spaltung, bei der jede Meinungsverschiedenheit zu einer Generalunterscheidung führe. Einzelne Akteur*innen haben an dieser Polarisierung ein politisches Interesse, mittlerweile gebe es aber vor allem ein system-ökonomisches Interesse, diese Wut und Spaltung am Laufen zu halten. Denn mit der Empörungskultur lässt sich Geld verdienen, der sogenannten outrage economy. Es sei möglich, davon zu leben, YouTube-Kanäle zu betreiben, in denen Gerüchte gestreut oder Spaltungstendenzen vertiefen werden. Dr. Herrmann stellte die Frage in den Raum, wie Demokratie sowas überleben könne, denn das Vertrauen in demokratische Prozesse werde durch diese Verwertungslogik zersetzt. In diesem Kontext seien auch Trumps Äußerungen zu sehen, die sich aus politischer Ideologie und Realitätsverweigerung ergeben, aber auch mit einer Gefangenschaft in diesem medialen Ökosystem zusammenhingen. 

In der intensiven anschließenden Diskussionsrunde wurde unter anderem debattiert, inwieweit die Verhältnisse in den USA sich auch in Deutschland auswirken können und ob ein „deutscher“ oder „europäischer Trump“ zu befürchten sei. Professor Dr. Dreyer hat diese Befürchtung jedoch weitgehend ausgeräumt, indem er die ungewöhnlichen Umstände zur Wahl Trumps 2016 aufschlüsselte. Er hält es für unwahrscheinlich, dass es in Deutschland möglich ist, in höhere staatliche Positionen zu gelangen, ohne zuvor eine „Ochsentour“ durch Partei und Staatsämter zu absolvieren, wie sie Donald Trump erspart blieb. Auch wenn das keine absolute Garantie darstellt, ist damit zumindest eine gewisse Filterfunktion gewährleistet. Ein weiterer Punkt waren die Problematiken und Ungerechtigkeiten des US-amerikanischen Wahlsystems . Als zentrale Probleme wurden das “Winner takes All”-Prinzip angeführt - nach dem in vielen Bundesstaaten nahezu die Hälfte der Stimmen übergangen wird, da der*die Kandidat*in mit den meisten Stimmen alle Wahlleute erhält - sowie der Ungleichgewichtung der Stimmen, da stärker bevölkerte Staaten ein geringeres Verhältnis von Wahlleuten zu Einwohner*innen haben und so die einzelne Stimme “weniger zählt”. Als vorübergehenden Lösungsansatzabseits einer grundlegenden Verfassungsänderung, führte Prof. Dr. Dreyer das “Electoral Compact”, kurz für National Popular Vote Interstate Compact, an, nach dem sich alle Wahlleute der Nation absprechen und entsprechend der absoluten Stimmenanzahl wählen und nicht abhängig von den Stimmen in ihrem jeweiligen Bundesstaat. Abschließend muss gesagt werden, dass solche oder ähnliche Probleme nicht nur in den USA auftreten, sondern alle Wahlsysteme in der einen oder anderen Form benachteiligende Auswirkungen haben. 

 

Das Team der Kamingespräche bedankt sich ganz herzlich für die intensive Diskussion der eingeladenen Gäste und der zahlreichen Zuhörer*innen. Die Kombination aus Insider- und Expert*innenwissen hat sich erneut als sehr bereichernd herausgestellt und wird daher auch in zukünftigen Kamingesprächen fortgesetzt. 

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