Die Kamingespräche sind in das neue Jahr mit einer Diskussion zu den „Neuen Europäischen Bauhäusern“ gestartet. Anlass ist der Bewerbungsprozess der Universität um die von der EU-Kommission ausgerufenen „Neuen Europäischen Bauhäuser“, welche eine Vorreiterrolle in den Themen Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit einnehmen sollen. Wir haben am 07. Januar eine erste öffentliche Diskussionsrunde an der Universität ermöglicht und dazu neun Gäste eingeladen: Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten), Prof. Dr. Klaus Dörre (Direktor des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften), Marc Weissgerber (Ehm. Vorstand der Climate und Innovation Communtiy), Milena Hufnagel (Klima AG der Bauhaus-Universität Weimar), Marcus Schreiber (Bauhauslebt), Prof. Dr. Max Welch Guerra (Professor für Raumplanung und Raumforschung) Prof. Dr. Ursula Damm (Professorin für Gestaltung Medialer Umgebungen), Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft (Klima AG, Leiter der Professur Biotechnologie in der Ressourcenwirtschaft) und Prof. Dr. Steffen de Rudder (Professor für Städtebau)
Im Dezember 2019 präsentierte Ursula von der Leyen den „Europäischen Green Deal“. Dieser hat das Ziel, die CO2 Emissionen der EU um 55 Prozent bis 2030 zu reduzieren. Europa soll nach diesem Plan ab 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein. Bis 2027 sind für den „Green Deal“ 15 Prozent des EU-Haushalts eingeplant, etwa 40 Milliarden Euro jährlich. Im Rahmen des „Europäischen Green Deals“ sprach Ursula von der Leyen auch vom „Neuen Europäischen Bauhaus“. Dieses solle zur geplanten Klimaneutralität beitragen und aus dem technischen Programm ein kulturelles Projekt werden lassen, welches die Menschen begeistere und die Nachhaltigkeitsmaßnahmen der europäischen Bevölkerung näherbringe. Die Themen „Stadt“ und „Wohnen“ sollen dabei im Fokus stehen. Fünf Standorte des „Neuen Europäischen Bauhauses“ sollen ausgeschrieben werden, welche sich dem Thema Nachhaltigkeit verpflichten müssen.
Im ersten Input des Abends hat Benjamin Hoff, Minister für Infrastruktur und Landwirtschaft, ausgeführt, dass er sich dem Ziel der EU anschließe, verstärkt energetische Sanierungen von Gebäuden voranzubringen. Insbesondere soziale Aspekte sind ihm auch im Rahmen des Klimaschutzes wichtig. Unter dem Schlagwort Klimagerechtigkeit stellt er den Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit heraus.
Prof. Klaus Dörre vom Postwachstumsdiskurs-Kolleg beschreibt die gegenwärtige Lage als „Zangenkrise“: Wachstum unter dem Status quo bedeute „eine Aufschaukelung Klimatischer Problemlagen”, ein Einbruch des Wachstums befördere jedoch soziale Problemlagen. Lösungen seien vorrangig für den Bau-, Energie-, Landwirtschafts- und Verkehrssektor zu suchen. Jenseits des Kollegs geht Professor Dörre noch auf die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen ein, welche jeweils für sich genommen erstrebenswert erscheinen, jedoch nicht ohne weiteres miteinander vereinbar seien und ein weiteres Wirtschaftswachstum zur Bedingung hätten. Die Klimaziele werden jedoch verfehlt, wenn wir weiterhin auf Wirtschaftswachstum setzten, was grünes Wachstum miteinschließe. Mit Greenwashing sei eine nachhaltige Gesellschaft nicht umsetzbar. Sollte die Bauhaus-Universität daher auf Postwachstumsstrategien setzten? Laut Prof. Dörre komme man an einer Kritik des Kapitalismus und des Wachstums nicht vorbei. Er zitiert dafür Naomi Klein, welche empfiehlt, die kapitalistischen Eliten mit klaren Zielen und Forderungen auf die Probe zu stellen. Dabei wäre zu testen, in welchem gesellschaftlichen Rahmen dies funktioniere. Zuletzt ermutigt er zu kontroversen Diskussionen: Methodisch sinnvolle Kontroversen mit Zwischenresümees und Fazits. Die Stadt- und Raumplanung sieht er dabei besonders in der Pflicht, denn der Gebäude und Verkehrssektor seien zentral für das Klimaproblem. Städtebaulich brauche es ein Jahrzehnt, um nachhaltige Mobilität zu etablieren, die über „E-Mobilität“ hinausgehe.
Franziska Schütze vom DIW Berlin berichtet, dass beim letzten Wärmemonitor zur Messung der Energieeffizienz des deutschen Gebäudebestands zum ersten Mal auch CO2 Emissionen mitaufgenommen wurden. Sie hält fest, dass in den letzten Jahren zu wenig für den Klimaschutz passiert sei. Die Quantität aber auch Qualität der energetischen Sanierungen müsse verdoppelt werden. Dabei spiele der Finanzmarkt durch Kreditvergaben eine wichtige Rolle. Die Finanzierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten solle als Teil des Green Deals begriffen werden.
Milena Hufnagel von der Klima-AG der Bauhaus-Universität stellt in ihrem Beitrag das Positionspapier der Studierendenvertretung vor. Die Bewerbung der Universität um das Europäische Bauhaus müsse ambitionierter werden und ganzheitliche sowie intersektionale Ansätze verfolgen. Dabei sollen gängige Wachstumsvorstellungen hinterfragt und nicht mehr als Ziel propagiert werden. Zudem sei die EU als System kritisch zu betrachten: die inhärent neoliberale Ausrichtung und die unmenschlichen Bedingungen an den EU-Außengrenzen bedingen institutionelle Änderungen. An die Universität geht die Forderung, den Willen zur Partizipation zu zeigen. Auch solle der ländliche Raum miteinbezogen werden und die
Niederschwelligkeit für alle Menschen gegeben sein. Eine Vorgabe zur Klimaneutralität bis 2050 und ihre Einhaltung seien unverzichtbar.
Prof. Dr. Max Welch Guerra kontextualisiert in seiner Redezeit den „Green Deal”. Das historische Bauhaus, auf welches sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezieht, habe vor 100 Jahren die Industrialisierung mitbegleitet. Diese Industrialisierung basierte auf der Annahme des unbeschränkten Wachstums. Heute würden mit dem „Green Deal” mehrere Ziele verfolgt: Zum einen der „Klimaschutz als Konjunkturprogramm“, da über Fördermittel und Zielvorgaben Forschung, Wirtschaft und Innovation angeschoben würden. Zum zweiten das Ziel der Energieunabhängigkeit, denn durch die Förderung zumeist lokal erzeugter regenerativer Energien können fossile Brennstoffe ersetzt werden, welche überwiegend importiert werden müssen. Als drittes Ziel sei der Klimaschutz auch eine Maßnahme, um die EU wieder populär zu machen. Die drei Ziele zeigen, dass es den Teilnehmenden der Diskurse nicht allein um den Klimaschutz gehe. Daher müssen wir die Inhalte für mehr Klimagerechtigkeit selbst vertreten, plädiert Max Welch Guerra. In der Umsetzung eines holistischen Gesamtkonzepts sieht er dabei Schwierigkeiten. Einige Maßnahmen würden unsere Lebensumstände beeinflussen. Die Gegenwart zeige, dass es möglich sei, völlig gegen den Klimaschutz zu handeln und damit Wahlen zu gewinnen. Die Bewerbung der Universität solle daher Perspektiven bieten, für die es sich zu kämpfen lohne. Es müsse gelingen auch Menschen mit einzubeziehen, die „nicht so einfach alles aufgeben könnten”. Dafür brauche es gute Begründungen und zeige die Komplexität des Vorhabens. Zudem appelliert er daran, sich in der Bewerbung auf Europa zu beziehen und nicht nur auf Weimar, Deutschland, Thüringen oder den ländlichen Raum.
In der anschließenden Zwischen-Diskussion wurde anknüpfend an den Appell von Max Welch Guerra der Bezugsraum der Bewerbung diskutiert. Nicht nur Europa, sondern der gesamte Globus sollte der Maßstab sein, so manche Meinungen. Allerdings habe der ausschließliche Bezug auf Europa den Vorteil, zunächst selber Konzepte auszuarbeiten, bevor wir uns weltweite Handlungsvorgaben anmaßen. Klaus Dörre warf ein, wie sich die Bauhaus-Universität durchaus die Möglichkeit habe, sich auf die Bewerbung einlassen und dennoch ihren Prinzipien treu zu bleiben. Auch den Aspekt der schrumpfenden Regionen hob er nochmals hervor, denn dies sei kein spezifisches Problem in Thüringen, sondern ein weltweites Phänomen. Die in solchen Regionen aufbrechenden sozialen Konflikte und ökologischen Problemlagen ließen sich beispielsweise in der Lausitz beobachten. Als Negativbeispiel wurde der Wettbewerb der Regionen genannt. Daher brauche es Bindeglieder, um Produktions- und Lebensweisen der Zukunft auszuhandeln. Beispielweise brauche es eine Produktion langlebiger
und nachhaltiger Güter, die sich trotz steigender Preise auch einkommensschwache Menschen leisten könnten. Dabei spiele auch das Design eine wichtige Rolle, da langlebige Güter auch langfristig als schön empfunden werden sollten. Zudem wurde die Frage debattiert, inwieweit die Idee des Postwachstums massentauglich sei. Das stagnierende Wachstum habe mittlerweile das Herz der Wirtschaft erreicht, hohe Strafzahlungen drohen Unternehmen für den Fall, dass sie staatlich vorgegebene CO2 Ziele nicht erreichen. Dies zeige, dass es eine hautnahe Konfrontation mit der Problematik gebe. In Industriestaaten seien hohe Wachstumsraten nicht mehr zu erwarten oder nur noch über Verschuldung zu erreichen. Auch der „Green Deal” sei nur über eine zusätzliche Staatsverschulung finanzierbar.
Marc Weißgeber arbeitet mit Prof. Schnellhuber an Decarbonisierungsstrategien. Er warf die Frage auf, unter welchen Paradigmen zukünftig gebaut werden solle. Das Anwachsen der weltweiten Bevölkerung um zwei Milliarden Menschen in den kommenden dreißig Jahren mache riesige Bauvorhaben notwendig. Sollten diese zentralistisch über Stahlbeton und Zement realisiert werden, wie dies momentan in Asien passiere, dann würden sämtliche Zielsetzungen zur CO2-Einsparung verfehlt und sich die Erderwärmung massiv erhöhen. Damit verbunden seien eine Abnahme der Biodiversität, Wassernotstände und vergiftete Böden. Durch die zunehmende Verstädterungsquote sieht Marc Weißgeber insbesondere die Organisation von Städten zur Lösung der Klimafrage im Fokus. Dazu brauche es eine Dezentralisierung der Wassersysteme. Neben der Energiefrage sei auch die Ressourcenfrage für die Bauwirtschaft extrem relevant. Nicht nur energieeffizienter Systeme, sondern auch ein Umdenken in der Auswahl der Baumaterialien würden benötigt. Beton stelle ein klimatisches Desaster dar, daher brauche es eine Umstellung auf Holz und organische Materialeien. Dagegen überzeugen Konzepte zur „Smart City“ nicht: digitale Innovationen und Datenerhebungen müssten sich daran orientieren, wie ein gutes Leben für alle ermöglicht werden könne.
Professor Steffen de Rudder ging in seinem Beitrag der Frage nach, wie der Städtebau zu einer Energie- und Verkehrswende beitragen kann. Hier sieht er einen gigantischen Umbaubedarf. Konkret lässt er an seinem Lehrstuhl Entwürfe an neuralgischen Verkehrspunkten konzipieren. Grundsätzlich ist Steffen de Rudder von der Idee des Europäischen Bauhauses begeistert: Er sieht riesigen Handlungsbedarf bei der CO2 Reduktion. Die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre sei selbst durch Corona nicht gebremst worden. Das europäische Bauhaus sei daher eine sinnvolle Alternative. Interdisziplinäre Projekte beispielweise mit Bauingenieuren sollten dazu angedacht werden.
Prof. Dr. Ursula Damm stellte das Projekt „Shared Habitates, Expanded Ecologies“ vor. Sie möchte damit Verkehrsproblemen konkret in Weimar begegnen. Das hohe Verkehrsaufkommen in einer nicht besonders großen Stadt wie Weimar stimme nachdenklich. Grundsätzlich brauche es ein Kontinuum aus Stadt und Land und eine Betrachtungsweise, in der „Gesellschaft“ nicht nur als die Gesamtheit aller Menschen aufgefasst werde.
Auf die abschließende Frage, ob das europäische Bauhaus nicht ein weiterer schöner Titel sei, um sich damit zu schmücken, antwortete Steffen de Rudder, dass das historische Bauhaus nicht überstrapaziert werden solle, da es um die Zukunft gehe. Daher müsse sich die Universität der Zukunft zuwenden, was vielleicht der gemeinsame Nenner mit dem Bauhaus von vor 100 Jahren sei. Wenn wir den Namen „Bauhaus“ brauchen, um unsere Ideen zu verwirklichen, sollten wir ihn nutzen. Das entscheidende sei, was wir daraus machen.